
Fürsprache ist das Sprechen für andere: Fürsprecher:in wird, wer die Stimme erhebt, um für die Sache anderer einzutreten. Jene anderen können abwesend sein oder keinen Zugang zur Institution haben, in der gesprochen wird; sie können ihre Regeln nicht kennen oder die in ihnen gesprochene Sprache nicht sprechen. Sie können noch nicht geboren sein – wie die kommenden Generationen, auf die das Konzept der „intertemporalen Freiheitsicherung“ des Bundesverfassungsgerichts sich beruft – oder auch tot, wie Opfer von Genoziden. Sie können keine Namen und keine Spuren hinterlassen haben. Fürsprache ist eine eminent theatrale Situation: Jemand tritt auf, ergreift das Wort, versucht, die Hörenden zu überzeugen und in ihnen Empathie zu erwecken: für ein Opfer, einen Angeklagten, eine Mandantin, einen Toten.
Im Seminar möchten wir uns der Fürsprache historisch, theoretisch und anhand von theatralen Arbeiten und Konstellationen nähern. Fürsprache findet vor allem vor Gericht statt, wo in modernen Prozessordnungen Ankläger und Angeklagte durch Anwälte vertreten werden, die an ihrer statt das Wort ergreifen. Fürsprache ist jedoch auch der Form des Dramas irreduzibel inhärent: Schauspieler:innen sprechen hier als und für andere. Fürsprache setzt Institutionen voraus und wird von Institutionen ermöglicht. Dabei unterliegt sie epistemischen und juristischen Regeln, die hinterfragt werden müssen: Wer ergreift das Wort für wen? Ist Fürsprache bevormundend und Ausübung epistemischer Gewalt oder aber der Versuch, Institutionen zu transformieren?
Abschließen werden wir das Seminar mit Ausblicken zu zwei anderen Formen des Fürsprechers, die der Anthropologe Eduardo Viveiros de Castro entwickelt: dem Priester und dem Schamanen. Übt der Priester eine befriedende Funktion in einer sich ausdifferenzierenden Institution aus, so sind Schamanen Fürsprecher:innen anderer Aktanten eines animistischen Universums. Welche anderen Formen von Fürsprache entstehen hier?
- Kursleiter/in: Marina Büns
- Kursleiter/in: Jörn Etzold