Wie wir nicht zuletzt durch die Sozialpsychologie wissen – zumindest untersucht sie es –, vermag der soziale Andere u. a. unser Denken, Fühlen, Handeln, Wahrnehmen oder auch Befinden zu beeinflussen (Allport, 1954; Bandura, 1986; Tajfel & Turner, 1986). Menschen sind in diesem Sinne wechselbezüglich eingestellt (Cooley, 1902; Elias, 1991; Erikson, 1950; Gergen, 2009; Mead, 1975), d. h. sie bzw. ihre Psychen (z. B. Selbst und Identität) reagieren vor dem Hintergrund alltagsweltlicher Begegnungen und Lebenspraxen auf- und miteinander, bilden und werden kontinuierlich zu gegenseitig abhängigem handlungs- sowie erlebnisfähigen (Entwicklungs-)Einfluss und befinden sich daher in einem lebenslang-überspannenden interpsychischen Verflechtungsverhältnis zueinander (= Psychosozialität). Ausdruck dieser, im Zuge menschlichen Zusammenlebens bzw. sozialstrukturierter  Gesellschaftlichkeit konstituierten interpsychischen Prägung, ist ein psychosoziales Paradigma, welches postuliert, dass die Psyche über die dispositionale Eigenschaft verfügt, vielschichtig auf psychische Phänomene (u. a. Erleben, Handeln, Befinden, Motivation) von bzw. zwischen Menschen (in ihrer individuellen oder kollektiven Form) einzuwirken bzw. die dispositionale Empfänglichkeit der Psyche nicht nur für Personen, sondern soziale Umstände per se. Sobald Menschen also zusammentreffen (unabhängig der Art: tatsächlich, imaginiert, distanziert, strukturell-institutionalisiert oder bloß implizit), nehmen sie gegenseitig psychosozialen Einfluss aufeinander, dessen Auswirkung auf psychische Phänomene interindividuell unterschiedliche Züge annimmt. Es bestehen also keineswegs ausschließlich gleichverteilte bzw. gleichwirksame Einflussverhältnisse. So lassen sich auch am Beispiel der arbeitsweltlichen Partizipation psychosoziale Facetten ausmachen. Ziel des Seminars ist daher sowohl das Ent- und Aufdecken dieser Facetten als auch das Reflektieren ihrer partizipationspraktischen Relevanz.

Ob, wie und woran Beschäftigte konkret beteiligt sind, spielt angesichts der psychosozialen Merkmale (u. a. bzgl. sozialer Beziehungen, Befinden oder Bedürfnisse; z. B. Anerkennung) handlungsbezogener Partizipation ebenso eine Rolle wie ihre Voraussetzungen sowie Umsetzungsformen. Neben den partizipierenden Beschäftigten und der arbeitgebenden Organisation gilt es ebenso die Bedeutungsfunktion des führenden Personals zu berücksichtigen: als soziales Gegenüber gestaltet es nicht nur (informelle) Partizipationspraktiken, sondern vermag per se das Erleben und Handeln von Beschäftigten zu beeinflussen. Wir reflektieren ferner, inwiefern Partizipation ein ambivalentes Konzept darstellt, ob partizipative Führung Ausdruck organisationaler Demokratisierung ist und ob es z. B. so etwas wie interkultureller Kompetenz bedarf bzw. die Frage nach (Partizipations-)Kultur per se.

Dieses Seminar richtet sich insbesondere an diejenigen, die Interesse an Bearbeitung interdisziplinärer Literatur (Arbeits- und Organisationssoziologie, Kultur-, Sozial- sowie Personal- und Organisationspsychologie) Szenario-Übungen und Perspektivenentwicklung besitzen. Da wir zudem nicht bloß distanziert über, sondern auch integrativ mit der Arbeitswelt reden wollen, werden uns Praxisgäste sowohl aus dem Bereich der betrieblichen Interessenvertretung als auch dem Personalbereich besuchen, um uns Einblicke in die/ ihre Lebenspraxis zu geben.

Teilnehmende sollen außerdem explizit dazu ermutigt und dabei unterstützt werden, ungewohnte Sitzungsgestaltungen bzw. alternative Inputformen zu explorieren. Neben dem gewohnten Referat können das z. B. eine wiss. Posterausstellung, eine moderierte Diskussionsrunde, Arbeitsmappe oder anderweitig mediale (bspw. Erklärvideo oder Podcast) Ausprägungen sein. Dabei spielen im Zuge der Inputs interaktive Elemente, selbsterfahrbare Kurzaktionen, aber auch die alltäglichen Erfahrungen der Teilnehmenden eine wichtige Wissensvermittlungs- sowie Reflexionsrolle. Hinter der aktiven Beteiligung verbirgt sich daher das Potenzial gegenseitiger Seminargestaltung. Zudem wird mit Hilfe aller Beiträge ein gemeinsames Partizipations-Wiki erarbeitet, sodass Teilnehmende aktiv zu ihrer eigenen Informationssammlung beitragen und sich damit eine gute Anknüpfungsgrundlage (z. B. für Haus- und Abschlussarbeiten o. die berufl. Praxis) schaffen.

Voraussetzungen für Studiennachweise / Modulprüfungen:

Studiennachweis: aktive Beteiligung und Sitzungsgestaltung (inkl. inhaltlicher Übertragung in das Wiki)

Leistungsnachweis: wie Studiennachweis + mündliche Modulabschlussprüfung oder weitere Prüfungsleistung nach Absprache

Voraussetzungen:

Bereitschaft zur Lektüre interdisziplinärer Texte sowie deren (aktive) Diskussion

Literatur:

Vorauswahl; vollständige Auswahl zur ersten Sitzung

Becker, Karina/ Brinkmann, Ulrich (2023). Partizipation, in: Rainer Bohn, Hartmut Hirsch-Kreinsen, Sabine Pfeiffer & Mascha Will-Zocholl (Hg.), Lexikon der Arbeits- und Industriesoziologie (S. 296–299). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.

Honneth, Axel (2009). Arbeit und Anerkennung: Versuch einer Neubestimmung, in: Hans-Christoph Schmidt am Busch & Christopher F. Zurn (Hg.), Anerkennung (S. 213–228). Berlin: Akademie Verlag.

Hucker, Tobias (2008). Betriebliche Partizipation und gesellschaftlicher Wandel. München: Hampp.

Lauer, Thomas (2019). Erfolgsfaktor Partizipation – Betroffene beteiligen, in: Ders. (Hg.), Change Management: Grundlagen und Erfolgsfaktoren (S. 153–171). Berlin, Heidelberg: Springer Gabler.

Minssen, Heiner (2019). Subjektivierung der Arbeit, in: Ders. (Hg.), Arbeit in der modernen Gesellschaft: Eine Einführung (S. 103–120). Wiesbaden: Springer VS.

Nerdinger, Friedemann W. (2019). Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit, in: Friedemann W. Nerdinger, Gerhard Blickle & Niclas Schaper (Hg.), Arbeits- und Organisationspsychologie (S. 463–486). Berlin: Springer.

Rybnikova, Irma/ Lang, Rainhart (2020). Partizipative Führung: Auf den Spuren eines Konzeptes. In: Gruppe. Interaktion. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO), 51(2), S. 141–154.

Straub, Jürgen/ Niebel, Viktoria (2021). Kulturen verstehen, kompetent handeln: Eine Einführung in das interdisziplinäre Feld der Interkulturalität. Gießen: Psychosozial-Verlag.

Ulbrich, Sebastian/ Mateescu, Magdalena/ Schulze, Hartmut (2022). Partizipation im Workplace Change – Praxisbericht über die Prozessbegleitung einer Expertenorganisation vor Bezug neuer Büro-räume. In: Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO), 53(3), S. 215–224.

Semester: ST 2024