Sowohl in seinem frühen Hauptwerk „Phänomenologie des Geistes“ (1807) als auch in den späteren „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ (1820) hat Hegel fundamentale Überlegungen zum Gewissen entwickelt. Das Gewissen ist wesentliches Moment unserer Moralität. Es bindet die Orientierung am „Guten“ an ein entwickeltes Selbstbewusstsein, das aus Gründen innerlicher Überzeugung und nicht aufgrund von äußerlichen Konventionen Verantwortung für sein Handeln übernimmt. In diesem Sinn hält Hegel das Gewissen ausdrücklich für ein modernes Phänomen.
Interessant ist aber nicht allein diese historische Verortung des Gewissens in der Moderne, sondern auch die Bewertung, die Hegel vornimmt und die in der „Phänomenologie“ und der „Rechtsphilosophie“ ganz unterschiedlich ausfällt. Aus einem moralischen Phänomen, in dem sich die wechselseitige Anerkennung von Individuen verwirklicht, wird später eine höchst problematische Einstellung persönlicher Eitelkeit, die asoziale Züge anzunehmen droht und durch eine „Sittlichkeit“ genannte gesellschaftliche Praxis eingehegt werden muss.
Im Seminar werden wir diese unterschiedlichen Einschätzungen analysieren und dabei noch ein Übriges tun: Im Hintergrund von Hegels Ausführungen steht Jacobis Roman „Woldemar“, der das Phänomen des Gewissens anhand einer konfliktreichen Freundschaftsgeschichte erschließt. Es wird ein sehr spannendes und zugleich sehr anspruchsvolles Unternehmen sein, auch diese literarische Vorlage in unsere Diskussionen einzubeziehen.
Das Seminar wendet sich an fortgeschrittene BA-Studierende ab dem 6. Fachsemester und an MA-Studierende. Voraussetzung für die Teilnahme ist die Bereitschaft zu umfangreicher und intensiver Textarbeit sowie zur Übernahme eines Stundenprotokolls.
Semester: WiSe 2024/25