Im Anthropozän verschwindet die Grenze zwischen dem ‚Natürlichen‘ und dem ‚Menschgemachten‘ – überall begegnet der Mensch seiner eigenen Spur, während er durch Gen- und Nanotechnik immer tiefer in die Umgestaltung des Organismus und der Materie eingreift. Zugleich zeigt sich die Natur immer schon selbst als geformt: Der Materie wohnt offenbar ein ‚Bildungstrieb‘ (vis plastica) inne, der eigenaktiv zur Gestalt treibt (autopoiesis). Dieses ‚Kunstwollen‘ der Natur faszinierte den Menschen schon in der Frühneuzeit und warf Fragen auf nach dem Verhältnis von göttlicher, natürlicher und menschlicher Schöpfung. Künstler*innen gingen einerseits einen Wettstreit (paragone) mit der Natur ein in der Schaffung von Werken, die sich kaum vom Naturvorbild unterschieden (imitatio), oder huldigten der ‚Natur als Künstlerin‘ (natura naturans), indem sie deren Werke in ihre eigenen Schöpfungen integrierten und damit die Grenze von Natur und Kunst verunklärten. Andererseits versuchten sie, durch die Nachahmung natürlicher Formprozesse (aemulatio) Einblick zu erhalten in die materiellen Transformationen, die den gestalterischen Spielen der Natur (ludi naturae) zugrunde liegen. Das Seminar nimmt derartige Hybridisierungen von Natur und Kultur in den Blick und führt über diese Beispiele an zentrale Konzepte der frühneuzeitlichen Kunsttheorie sowie an Methoden der Bildwissenschaft heran.
Semester: ST 2024