Um 1800 beginnt im Kontext der klassischen deutschen Philosophie die moderne Diskussion um den Bildungsbegriff. Nahezu alle Vertreter aus Philosophie und Literatur beteiligen sich an dieser Diskussion, die mit einer Reform des „Bildungswesens“, also der sog. Bildungsinstitutionen (Schule, Universität), Hand in Hand geht. Im Zusammenhang der gegenwärtigen Studienreform im 21. Jh. wurde deutlich, dass das Wissen um die komplexe Bildungsdebatte am Beginn der Moderne verloren gegangen ist. Sie wurde verkürzt auf das Konzept der „harmonisch gebildeten Persönlichkeit“, das als disfunktional für die moderne Arbeitswelt kritisiert und durch modularisierte Bildungstechniken ersetzt worden ist.
Das Seminar möchte diese unproduktive Situation aufbrechen und korrigieren. Das interessanteste Bildungskonzept aus der Epoche um 1800 stammt von Hegel, der mit der Vorstellung „harmonischer Persönlichkeit“ gar nichts im Sinn hat und sich keineswegs fern von modernen Arbeitswelten hält. Stattdessen assoziiert Hegel Bildung und Entfremdung und sieht darin den konstruktiven Gewinn von Bildungsprozessen. Dabei ist diese These kein Nebengleis in Hegels Denken, sondern führt logisch, sozialphilosophisch und politisch mitten ins Zentrum seiner Philosophie des Geistes hinein.
Im Seminar konzentrieren wir uns auf Auszüge aus der Phänomenologie des Geistes (1807) (Der sich entfremdete Geist: Die Bildung) und beziehen weitere Texte Hegels und der zeitgenössischen Diskussion in die Seminararbeit mit ein. Für die Teilnahme am Seminar ist die Bereitschaft zu intensiver Textarbeit und zur Übernahme eines Stundenprotokolls vorausgesetzt. Vorkenntnisse der Philosophie Hegels sind hilfreich.
Semester: WiSe 2024/25