Da Menschen sich von den Äußerungen anderer oft abgestoßen und verletzt fühlen, trat schon Hobbes um des sozialen Friedens willen für eine starke Einschränkung der Redefreiheit ein. Wie Kant in seiner Schrift „Was ist Aufklärung“ argumentiert, können wir jedoch ohne die Möglichkeit zur freien Rede und Gegenrede nicht einmal differenzierte eigene Gedanken entwickeln und schon gar nicht ihre Wahrheitsfähigkeit überprüfen. Auch John Stuart Mill spricht sich in seiner berühmten Schrift »Über die Freiheit« dafür aus, das durch empörende Meinungen ausgelöste Unbehagen auszuhalten, weil sie den eigenen Horizont erweitern, einen aber auch nötigen, die eigene Meinung zu begründen – und einen merken lassen, wo solche Gründe fehlen. 
Neuerdings hat sich jedoch Kritik an einem als zu liberal empfundenen Verständnis von Rede- und Wissenschaftsfreiheit entwickelt, die sich um die Frage der Partizipation von Minderheiten und den Umgang mit Verletzlichkeiten im Zusammenhang einer mangelnden Gleichstellung in der Gesellschaft dreht. Vertreter der sogenannten Cancel-Culture verlangen, auf Diskussionen und Forschungen zu verzichten, die ihrer Vision von einer gerechten Gesellschaft nicht entsprechen oder von Personen, die sich diskriminierten Minderheiten zurechnen, als verletzend empfunden werden könnten oder Das Seminar knüpft an die Thematik des Seminars Hatespeech im Wintersemester an und stellt die Frage, wie die Grenzen der Redefreiheit in- und außerhalb der Wissenschaft zu ziehen wären. Darf Redefreiheit nur begrenzt werden, wenn unmittelbar gewalttätige Folgen zu befürchten sind, oder schon, wenn sich jemand verletzt fühlen könnte? Auf welche Wertvorstellungen und welche medizinisch-psychologischen Annahmen stützt sich die Kritik? Wie verhält sich Redefreiheit im Sinne der Freiheit, auch empörende Gedanken äußern zu können (Parrhesia) zu dem moralischen Recht auf Schutz vor Diskriminierung und Herabsetzung? Gibt es moralische Gründe, auf gewisse Fragen grundsätzlich zu verzichten? Zum Seminar gehört ein Workshop am 15./16. Juli, auf dem Kritiker, Opfer und Vertreter einer Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit mit Juristen über verschiedene Probleme der gegenwärtigen Streitkultur diskutieren werden.

Der Erwerb von CP setzt die Bereitschaft voraus, wöchentlich auf Moodle Fragen zu den Texten zu beantworten, aktiv am Workshop teilzunehmen und ein Referat, Essay oder Protokoll zu einem Teil des Workshops zu verfassen. Auch Hausarbeiten sind möglich. 


Semester: WT 2024/25