Die Normalverteilung

Stetige Verteilungen bzw. Verteilungen von stetigen Zufallsvariablen lassen sich durch Dichtefunktionen beschreiben, die oft von einem oder mehreren reellen Parametern abhängen. Verschiedene Parameter können sich unterschiedlich auf die Dichtefunktion auswirken:

Die Normalverteilung \(\text{N}(\mu,\sigma^2)\) wird beschrieben durch einen Lageparameter \(\mu\in\mathbb{R}\) und einen Skalenparameter \(\sigma>0\). Die Dichtefunktion ist \(\varphi_{\mu,\sigma^2}:\mathbb{R}\longrightarrow\mathbb{R}\) mit \[\varphi_{\mu,\sigma^2}(x)=\frac{1}{\sqrt{2\pi\sigma^2}}\exp\left(-\frac{(x-\mu)^2}{2\sigma^2}\right).\]

Da Lagemaße wie der Erwartungswert und Streuungsmaße wie die Standardabweichung mithilfe der Dichtefunktion berechnet werden können, hängen auch diese direkt von den Parametern ab. Für \(X\sim\text{N}(\mu,\sigma^2)\) ist der Erwartungswert \[\mu_X=\text{E}(X)=\mu\] und die Standardabweichung ist \[\sigma_X=\sqrt{\text{Var}(X)}=\sigma.\]

Um nachzuweisen, dass die Funktion \(\varphi_{0,1}\) eine Dichtefunktion ist, benötigen wir den Satz von Fubini und die Transformation auf Polarkoordinaten. Daher nehmen wir für die folgenden Rechnungen an, dass \[\int\limits_{-\infty}^\infty\varphi_{0,1}(z)\text{ d}z=1\] bereits bekannt ist.

Dann ist aber auch die Funktion \(\varphi_{\mu,\sigma^2}\) eine Dichtefunktion, denn \(\varphi_{\mu,\sigma^2}(x)\geq0\) für alle \(x\in\mathbb{R}\) und mit der Substitution \(z=(x-\mu)/\sigma\), d.h. \(x=\sigma z+\mu\) und \(\text{d}x=\sigma\text{ d}z\), gilt \begin{align*} \int\limits_{-\infty}^\infty\varphi_{\mu,\sigma^2}(x)\text{ d}x &=\int\limits_{-\infty}^\infty\frac{1}{\sqrt{2\pi\sigma^2}}\exp\left(-\frac{(x-\mu)^2}{2\sigma^2}\right)\text{ d}x\\ &=\int\limits_{-\infty}^\infty\frac{1}{\sqrt{2\pi\sigma^2}}\exp\left(-\frac{z^2}{2}\right)\sigma\text{ d}z\\ &=\int\limits_{-\infty}^\infty\varphi_{0,1}(z)\text{ d}z\\ &=1. \end{align*} Die Berechnung von Momenten der Normalverteilung \(\text{N}(\mu,\sigma^2)\) führen wir ebenfalls durch eine Substitution auf die Momente der Standardnormalverteilung \(\text{N}(0,1)\) zurück. Sei also zunächst \(Z\sim\text{N}(0,1)\). Dann ist \[\text{E}(Z)=\int\limits_{-\infty}^\infty z\varphi_{0,1}(z)\text{ d}z=0,\] da die Funktion \(z\longmapsto z\varphi_{0,1}(z)\) ungerade ist, und mit partieller Integration ist \begin{align*} \text{E}(Z^2) &=\int\limits_{-\infty}^\infty z^2\varphi_{0,1}(z)\text{ d}z\\ &=\frac{1}{\sqrt{2\pi}}\int\limits_{-\infty}^\infty z^2\exp\left(-\frac{z^2}{2}\right)\text{ d}z\\ &=\frac{1}{\sqrt{2\pi}}\Bigg(\Bigg[-z\exp\left(-\frac{z^2}{2}\right)\Bigg]_{z=-\infty}^\infty+\int\limits_{-\infty}^\infty\exp\left(-\frac{z^2}{2}\right)\text{ d}z\Bigg)\\ &=0+\int\limits_{-\infty}^\infty\varphi_{0,1}(z)\text{ d}z\\ &=1. \end{align*} Sei nun \(X\sim\text{N}(\mu,\sigma^2)\). Wieder mit der Substitution \(z=(x-\mu)/\sigma\) ist der Erwartungswert von \(X\) \begin{align*} \text{E}(X) &=\int\limits_{-\infty}^\infty x\varphi_{\mu,\sigma^2}(x)\text{ d}x\\ &=\int\limits_{-\infty}^\infty x\frac{1}{\sqrt{2\pi\sigma^2}}\exp\left(-\frac{(x-\mu)^2}{2\sigma^2}\right)\text{ d}x\\ &=\int\limits_{-\infty}^\infty(\sigma z+\mu)\frac{1}{\sqrt{2\pi\sigma^2}}\exp\left(-\frac{z^2}{2}\right)\sigma\text{ d}z\\ &=\sigma\int\limits_{-\infty}^\infty z\frac{1}{\sqrt{2\pi}}\exp\left(-\frac{z^2}{2}\right)\text{ d}z+\mu\int\limits_{-\infty}^\infty\frac{1}{\sqrt{2\pi}}\exp\left(-\frac{z^2}{2}\right)\text{ d}z\\ &=\sigma\int\limits_{-\infty}^\infty z\varphi_{0,1}(z)\text{ d}z+\mu\int\limits_{-\infty}^\infty\varphi_{0,1}(z)\text{ d}z\\ &=\mu. \end{align*} Mit derselben Substitution ist das zweite Moment von \(X\) \begin{align*} \text{E}(X^2) &=\int\limits_{-\infty}^\infty x^2\varphi_{\mu,\sigma^2}(x)\text{ d}x\\ &=\int\limits_{-\infty}^\infty x^2\frac{1}{\sqrt{2\pi\sigma^2}}\exp\left(-\frac{(x-\mu)^2}{2\sigma^2}\right)\text{ d}x\\ &=\int\limits_{-\infty}^\infty(\sigma z+\mu)^2\frac{1}{\sqrt{2\pi\sigma^2}}\exp\left(-\frac{z^2}{2}\right)\sigma\text{ d}z\\ &=\sigma^2\int\limits_{-\infty}^\infty z^2\frac{1}{\sqrt{2\pi}}\exp\left(-\frac{z^2}{2}\right)\text{ d}z+2\sigma\mu\int\limits_{-\infty}^\infty z\frac{1}{\sqrt{2\pi}}\exp\left(-\frac{z^2}{2}\right)\text{ d}z+\mu^2\int\limits_{-\infty}^\infty\frac{1}{\sqrt{2\pi}}\exp\left(-\frac{z^2}{2}\right)\text{ d}z\\ &=\sigma^2\int\limits_{-\infty}^\infty z^2\varphi_{0,1}(z)\text{ d}z+2\sigma\mu\int\limits_{-\infty}^\infty z\varphi_{0,1}(z)\text{ d}z+\mu^2\int\limits_{-\infty}^\infty\varphi_{0,1}(z)\text{ d}z\\ &=\sigma^2+\mu^2. \end{align*} Somit ist die Varianz \begin{align*} \text{Var}(X) &=\text{E}(X^2)-\text{E}(X)^2\\ &=\sigma^2+\mu^2-\mu^2\\ &=\sigma^2 \end{align*} und wir erhalten schließlich die Standardabweichung \(\sigma_X=\sqrt{\text{Var}(X)}=\sigma\).

Erkunden Sie in der folgenden interaktiven Grafik, wie sich die Parameter der Normalverteilung auf ihre Dichte- und Verteilungsfunktion sowie auf den Erwartungswert und die Standardabweichung auswirken. Außerdem können Sie Intervallwahrscheinlichkeiten und Quantile grafisch berechnen lassen.

Wechseln Sie mit den Radiobuttons zwischen den Ansichten der Funktionsgraphen, Intervallwahrscheinlichkeiten und Quantilen. Blenden Sie mit den Checkboxen die Dichtefunktion (durchgezogene Kurve) bzw. die Verteilungsfunktion (gestrichelte Kurve) ein oder aus. Verändern Sie die Werte der Parameter über die Schieberegler oder die Eingabefelder.



Zum Nachdenken

(a) Stellen Sie in der interaktiven Grafik verschiedene Werte von \(\mu\) und \(\sigma\) ein und beschreiben Sie anhand Ihrer Beobachtungen qualitativ die Abhängigkeit des Erwartungswerts und der Standardabweichung der Normalverteilung von den Parametern \(\mu\) und \(\sigma\).

(b) Beschreiben Sie, wie sich die Parameter \(\mu\) und \(\sigma\) qualitativ auf die Form der Dichtefunktion und der Verteilungsfunktion auswirken.

(a) Der Erwartungswert der Normalverteilung hängt nur von \(\mu\) ab (nicht von \(\sigma\)) und ist streng monoton steigend in \(\mu\). Die Standardabweichung der Normalverteilung hängt nur von \(\sigma\) ab (nicht von \(\mu\)) und ist streng monoton steigend in \(\sigma\).

(b) Der Lageparameter \(\mu\) bestimmt die Lage des Hochpunkts der Dichtefunktion sowie die Lage des Wendepunkts der Verteilungsfunktion. Bei steigendem \(\mu\) verschieben sie sich nach rechts, bei fallendem \(\mu\) nach links. Der Skalenparameter \(\sigma\) bestimmt die Breite der Funktionsgraphen. Je größer bzw. kleiner der Wert von \(\sigma\), desto flacher bzw. steiler sind die Funktionsgraphen.